Die Deutschen kommen (Edition 2020)
Rock-O-Rama Records | LP
Im März 1982 erschien über Rock-O-Rama Records ein Sampler, der Erste seiner Art, der den Namen “Die Deutschen kommen” tragen würde und unmittelbar nach der Veröffentlichung für ordentlich Gesprächsstoff sorgen sollte. Auch bekannt als der “Köln-Leverkusen-Sampler”, hat Rock-O-Rama Records den fünf beteiligten Bands auf dieser Produktion entsprechend Platz eingeräumt und so sind es achtzehn Titel geworden, die man auf dem fertigen Werk serviert bekommt. Übrigens, Herbert reservierte seinerzeit einen gemeinsamen Studiotermin für alle beteiligten Bands auf diesem Sampler. Mit Ausnahme der Fasaga, hatten oder sollten alle anderen Bands weitere Werke über RoR veröffentlichen, wobei OHL sicherlich die bekannteste Band sein dürfte.
Den Anfang machen die Fasaga, mit ziemlich wenig Können hatte sich eher durch Zufall die Möglichkeit ergeben, dass diese, nennen wir sie ruhig mal Fun-Punk Band, ihren Platz auf dem Sampler bekamen. Die Band bzw. Musiker der Band verbrachten einige Zeit in Herberts Ladengeschäft um Musik zu hören und so ergab sich die Möglichkeit, dass diese mittelmäßige Truppe einen Teil des Samplers bilden würden. Ganz ehrlich, die vier Beiträge der Fasagas haben sicherlich ihre Daseinsberechtigung, ist allerdings keine Garantie dafür, dass das Material auch brauchbar ist. Von “Gut” möchte ich gar nicht erst schreiben. Es ist Schrammelpunk der kaum etwas Positives zu verzeichnen hat. Strukturell sind die Beiträge weder musikalisch noch gesanglich etwas vorzeigbares. Spielerisch hat man sich nicht einmal die Mühe gemacht, auch nur ansatzweise etwas wirklich Sinnvolles zu komponieren. Bis zum heutigen Tage stellt sich mir die Frage, was Egoldt da nur zu veranlasste, diese kaputte Fraktion mit auf den Sampler zu platzieren? Es wird wohl ein Mysterium bleiben, was vielleicht auch ganz gut so ist…
Die zweite Band auf diesem Sampler nennt sich Der Fluch und dabei handelt es sich um ein Projekt von der Obersten Heeresleitung, kurz OHL. Und mit den vier Beiträgen wird hier auch gleich einigermaßen das Niveau angehoben. In Ordnung, etwas hochgegriffen mit dem Wörtchen Niveau, aber dennoch, es steigert sich hier musikalisch etwas und das Material ist doch irgendwie recht unterhaltsam. Bei Der Fluch geht es weniger um Politik als vielmehr um Fantasiethemen, die dem Horrorfilm bzw. Horrorliteratur angelehnt sind. Auch musikalisch geht es etwas langsamer, ehr Rock´n´Roll lastig mit einer kleinen Prise Rockabilly zur Sache. An diesem Kurs hält man bis heute fest und wenngleich das aktuellere Material sowohl spielerisch als auch textlich um Längen professioneller ist, sind die Nummer dieses Samplers von kultigem Charakter geprägt. Leider ist das Material sehr kurz gehalten und dadurch wird der Eindruck vermittelt, dass die Lieder wie Füllmaterial wirken.
Mit der nächsten Band namens Cotzbrocken geht es für meinen Geschmack dann erst so richtig los auf dem Sampler. Die Kölner Band lieferte seinerzeit politisch unkorrekten und provokanten Punkrock ab, der ziemlich eingängig klingt. Schnell, aggressiv und textlich einfach aber treffsicher gehalten. Man muss sich halt immer die damalige Zeit vor Augen halten und wenn Cotzbrocken sicherlich alles andere als rechtsgerichtet waren, so war sie doch vom heutigen Zeckenpöbel weit entfernt. Trotz einiger anarchistischen Tendenzen, war der Willen und der Mut vorhanden, auch mal kritische Texte an den Tag zu legen, was sich heute wohl kaum noch eine Punkband trauen würde. Ein wunderbares Beispiel dafür dürfte der Titel der ersten und einzigen Studioplatte der Band sein. Die Band hat es allerdings auch nicht wirklich weit gebracht, nach der Studioplatte und den Beiträgen auf diesem Sampler hat es sich dann auch schon wieder mit den Cotzbrocken erledigt. Gewissermaßen irgendwie schade, die Band hatte was und sicherlich hätte daraus etwas werden können… wahrscheinlich wäre man aber wohl dort gelandet, wo so viele ehemals gute Punkbands gelandet sind.
Und nun kommt das musikalische Highlight dieser Platte und dabei handelt es sich um die vier Beiträge von OHL. Ja, ich gebe es gerne zu, ich höre OHL gerne. Auch heute noch. Die Band hält bis zum heutigen Tag – mit einer Unterbrechung von sieben Jahren – an ihren eingeschlagenen Kurs fest. Gegen alles, gegen jeden und dies wurde seinerzeit musikalisch durch eine ziemlich zügig-aggressive Oi! Musik geprägt. Dieser wurde im späteren Werdegang der Band gegen einen Hardcore lastigen Sound eingetauscht. Was interessant ist, Lieder wie der hier enthaltene Titel “Der Osten” kann auf eine gewisse Weise ins heutige politische Geschehen des Russland-Ukraine-Konflikts getragen werden. Provokation war schon damals ein Stilmittel der Leverkusener Band, was der Band nicht nur Zuspruch eingebracht hat und auch dies ist heute noch der Fall.
Den Abschluss liefern uns Stosstrupp mit ebenfalls drei Liedern und ähnlich wie bei OHL und den Cotzbrocken verhält es sich musikalisch und textlich auch hier, es gibt einen aggressiven Oi! Sound, später mit einem guten Schuss Hardcore ausgestattet. Textlich haben sich Stosstrupp einiges getraut und auch mal Themen aufgegriffen, an denen sich jede brave Punkkapelle heute wohl die Finger verbrennen würde. Mit den Beiträgen hier, auf diesem Sampler, geht es ein wenig gezügelter zur Sache. Die Band liefert einen netten Abschluss ab, wobei ich im Fall der musikalischen Arbeit der Band dann doch eher auf die 83er Studioplatte “Wie lange noch…” verweisen würde.
Der noch immer kontrovers betrachtete “Die Deutschen kommen” Sampler war seinerzeit ein ziemlicher Erfolg für Herbert und entgegen der heutigen gängigen Praxis vieler Labels, hat Egoldt mit diesem Sampler erstmals ein farbiges Vinyl produziert. Die rote Platte erschien mit einer Auflagenhöhe von 500 Stück und gelben Label. Nachträglich wurde die Platte dann im klassischen Schwarz mit weißem Label und dem typischen schwarzen Label nachgelegt. Die martialische Aufmachung stammt aus der Ideenschmiede von Herbert und wurde bewusst als Antwort auf die damals schon anhaltende negative Berichterstattung der “Musikpresse” angefertigt. Kleiner Funfact nebenbei, Stosstrupp wurden von Herbert wohl als Notlösung für diesen Sampler gewählt, er selbst sah das Material eigentlich gar nicht als brauchbar an und wollte ursprünglich eine andere Band auf dem Sampler haben. Im Jahr 2020 hatte Rock-O-Rama den Sampler neu aufgelegt. Die damals indizierungsrelevanten Lieder wurden im Nachgang bearbeitet und die anstößigen Passagen, die zur damaligen Indizierung geführt hatten, entfernt und/oder ausgetauscht. Durch das Vinylmastering hat man aus dem Ursprungsmaterial nachträglich einiges herausgeholt. Die Aufmachung wurde überwiegend dem Original nachempfunden, das 8-seitige A4 Beiheft der Erstauflage wurde leider nicht neu aufgelegt, wäre eine nette Zugabe gewesen. Ansonsten verhält es sich so, wie bei den anderen Neuauflagen von RoR, man hat auch dieses Werk aus der Versenkung geholt und wieder ins Rennen gebracht. Sicher, der Sampler ist nichts für rechte Hardliner, hier werden Musiksammler und Freunde angesprochen, die sich mit dem deutschsprachigen Punk der 80er beschäftigen und all jene, die bereit sind über den Tellerrand zu schauen und zu hören. Es ist ein Zeitdokument aus einer musikalischen Phase in der Punk noch Punk war, politisch unkorrekt und nicht verweichlicht.
Limitierung:
499x schwarzes Vinyl
Titelliste:
Seite A
01. Fasaga – Pogo in der Straßenbahn
02. Fasaga – Schwächling (Edit)
03. Fasaga – Amoklauf
04. Fasaga – Ich hab kein Gehirn mehr
05. Der Fluch – Wenn die Hexen tanzen
06. Der Fluch – Ich bin der Satan
07. Der Fluch – Halb Mensch halb Tier (Edit)
08. Der Fluch – Die Nacht der Toten
09. Cotzbrocken – Kiffer (Edit)
Seite B
01. Cotzbrocken – Oi Oi Oi
02. Cotzbrocken – Was werden sie tun
03. OHL – Der Osten
04. OHL – Die Macht des Feuers
05. OHL – Soldaten leben länger
06. OHL – Freiheit
07. Stosstrupp – Im Wald
08. Stosstrupp – Arbeitslos
09. Stosstrupp – Wie lange noch
Hörprobenmix – Die Deutschen kommen (Edition 2020):
– Folgt! –
Diese LP habe ich im Plattenschrank. Sie dürfte heute einiges wert sein. Leider wurde sie schon 100.000 x abgespielt. Entsprechend sehen die Rillen aus. Aber abspielen lässt sich das Schätzchen immer noch. Dass OHL noch heute aktiv ist, dürfte wohl ein kleines Wunder sein. Meinem Nostalgie-Gefühl nach habe ich die Scheibe wieder einmal aufgelegt. Und siehe da, sie hat nichts von ihrer Magie verloren. Der Köln-Leverkusen Sampler war zu seiner Zeit eine Rakete – und er ist heute Kult. Pur, unverfälscht und dreckig. So sollte Punk sein. Oi!